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Kirchengericht:Verfassungs- und Verwaltungsgericht der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:23.09.2019
Aktenzeichen:NK-VG I 2/2019
Rechtsgrundlage:§ 37 Absatz 1 i. V. m. § 10 Absatz 1 KGRBG (jetzt § 17e Absatz 1 KGO)
Vorinstanzen:nachfolgend: Gerichtsbescheid vom 30.11.2021 - NK-VG I 4/2019
Schlagworte:
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Leitsatz:

1. Die Gemeinde hat ein Recht darauf, stets von allen Personen vertreten zu werden, die rechtmäßig in das Amt gekommen sind, die Gewählten haben ein Recht darauf, dieses Amt auch tatsächlich ausführen zu können. Gerichtliche Entscheidungen zur personellen Zusammensetzung des Kirchengemeinderates stellen damit immer eine Vorwegnahme der Hauptsache dar.
2. Bei der Beurteilung der Repräsentanz der gesamten Gemeinde im Kirchengemeinderat und ihrer Zusammensetzung nach dem KGRBG kommt dem Kirchengemeinderat ein Ermessen zu, das nur eingeschränkt gerichtlicher Kontrolle unterliegt.

Tenor:

1. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller, Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung, den Antragsgegner zu 1. Dr. S von seinem Amt als Vorsitzender des Kirchengemeinderates sowie die Teilnahmeberechtigung der Mitglieder des Kirchengemeinderates C und Dr. H bis zu einer Entscheidung in der zugleich anhängig gemachten Hauptsache zu suspendieren.
Der zulässige Antrag bleibt ohne Erfolg.
Der Antragsteller ist Mitglied der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde A und Mitglied und stellvertretender Vorsitzender des dortigen Kirchengemeinderates. In der Sitzung des Kirchengemeinderates vom 23.05.2019 wurden die Gemeindeglieder C und Dr. H in den Kirchengemeinderat nachgewählt bzw. nachberufen. Der Antragsteller trägt vor, dass diese Wahl rechtswidrig erfolgt sei, weil einer weiteren Kandidatin zu Unrecht die Wählbarkeit abgesprochen und im weiteren Verlauf der Sitzung zu Unrecht ein Losentscheid, der zugunsten der Kandidatin C ausging, durchgeführt worden sei. Der Antragsteller hat unter dem 23.05.2019 unter der Überschrift „Anfechtung“ die „Sitzung des Kirchengemeinderates vom heutigen Tage hinsichtlich sämtlicher Wahlbeschlüsse“ angefochten und die Sitzungsleitung und Durchführung der Sitzung “beanstandet“. Der Bruder des Antragstellers hat unter dem 25.05.2019 „die Sitzung des Kirchengemeinderates vom 23.05.2019 förmlich hinsichtlich sämtlicher Wahlbeschlüsse“ angefochten und dies begründet, dieser Begründung hat sich der Antragsteller am selben Tage angeschlossen. Weder der Kirchengemeinderat noch der Kirchenkreis Hamburg-Ost haben zwischenzeitlich Beschlüsse zu der Rechtmäßigkeit der erfolgten Nachwahlen gefasst.

II.

Nach § 46 Absatz 1 Verwaltungsgerichtsgesetz der EKD kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zulässig, um vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden. Die Formulierung des Gesetzes entspricht in wesentlichen Teilen bis in den Wortlaut der Vorschrift des § 123 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), welche ansonsten zur Anwendung käme, § 65 Verwaltungsgerichtsgesetz der EKD. Materieller Streitgegenstand dieses Rechtsstreites sind Wahlhandlungen zum Kirchengemeinderat und Rügen des stattgehabten Verfahrens; dieser Gegenstand weist keine aus dem besonderen Auftrag der Kirche oder ihrem besonderen Aufbau folgende Besonderheiten auf, so dass zur Rechtsfindung auch auf die Rechtsprechung der staatlichen Gerichte zum Verhältnis von Eilverfahren und Hauptsacheverfahren zurückgegriffen werden kann. Nach dieser Rechtsprechung müssen sowohl die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anordnungsanspruches, das heißt des materiellen Anspruches, für den der Antragsteller um einstweiligen Rechtsschutz nachsucht, als auch eines Anordnungsgrundes, der sich insbesondere aus der Eilbedürftigkeit eines gerichtlichen Einschreitens ergibt, glaubhaft gemacht werden. Würde die einstweilige Anordnung zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führen, muss eine hohe Wahrscheinlichkeit des Obsiegens in der Hauptsache bestehen (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 10. Januar 2017 – 2 MB 33/16 –, juris (Rz. 26, mit weiteren Nachweisen), Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 13. Februar 2007 – 3 Bs 270/06 –, juris (Rz. 7). Die Kirchengemeinden sind Körperschaften des öffentlichen Rechtes mit Selbstverwaltungsrecht (Artikel 4 und Artikel 20 der Verfassung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland). Sie werden durch den Kirchengemeinderat geleitet (Artikel 24 Verfassung), der die Gemeinde im Rechtsverkehr vertritt (Artikel 28 Verfassung). Daraus erhellt, dass jederzeit ein dem Kirchenrecht genügender Kirchengemeinderat im Amt sein muss, Zweifel an der Legalität des Kirchengemeinderates können nicht offen bleiben, da dieser laufend nicht unter Vorbehalt zu stellende Entscheidungen in der Leitung der Gemeinde nach innen und ihrer Vertretung im Rechtsverkehr nach außen treffen muss. Die gesamte Gemeinde hat ein Recht darauf, stets von allen Personen vertreten zu werden, die rechtmäßig in das Amt gekommen sind, die Gewählten haben ein Recht darauf, dieses Amt auch tatsächlich ausführen zu können. Gerichtliche Entscheidungen zur personellen Zusammensetzung des Kirchengemeinderates stellen damit immer eine Vorwegnahme der Hauptsache dar.

III.

Allerdings ist die Sache wie eben dargestellt und unter den Parteien unstreitig eilbedürftig, ein Anordnungsgrund ist gegeben. Denn der Antragsteller hat unabhängig von seiner Funktion als Mitglied des Kirchengemeinderates und dessen stellvertretender Vorsitzender als einfaches Mitglied der Gemeinde ein Rechtsschutzinteresse, dass die Gemeinde jederzeit nur von einem in jeder einzelnen Person rechtmäßig besetzten Kirchengemeinderat geleitet wird.
Es mangelt jedoch an einem Anordnungsanspruch, da das Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Abweisung der Klage führen wird.
(1) Soweit sich der Antragsteller auf seine Beanstandung von Beschlüssen oder Realakten der Antragsgegner bezieht, § 33 Kirchengemeindeordnung (KGO), ist der Antrag nicht statthaft. Wie von den Antragsgegnern richtig vorgetragen, ist das zentrale Anliegen des Antragstellers nicht ein der Beanstandung zugänglicher Beschluss, sondern die Feststellung eines Wahlergebnisses, für deren Überprüfung ein besonderer Rechtsweg eröffnet worden ist. Der Antragsteller hat auch, wenn auch mit unklarer Diktion, so im Ergebnis eindeutig und unmittelbar nach Feststellung des Wahlergebnisses, also innerhalb der Frist des § 24 Absatz 1 KGRBG, zum Ausdruck gebracht, dass er allein die Wahl als rechtsfehlerhaft anfechte. Er hat seine Rechtsansicht auch begründet. Im Interesse eines wirksamen Rechtsschutzes gegen fehlerhafte Wahlhandlungen ist der Beschwerdeführer hieran festzuhalten.
(2) Auf dem so grundsätzlich eröffneten Rechtsweg mangelt es jedoch zunächst an dem Durchlaufen des Vorverfahrens (§ 18 Verwaltungsgerichtsgesetz der EKD), das für den vorliegenden Streitgegenstand in § 28 des Kirchengemeinderatsbildungsgesetzes (KGRBG) ausgestaltet worden ist. Im Hauptsacheverfahren könnte schon deshalb keine der Klage stattgebende Entscheidung ergehen, da es bisher an dieser Sachurteilsvoraussetzung mangelt. Der insoweit passiv legitimierte Kirchenkreis hat sich auch nicht auf das Hauptsacheverfahren eingelassen, sondern ausdrücklich dessen Unzulässigkeit gerügt. Dabei ist unerheblich, ob und wieweit der Antragsteller selbst eine förmliche Bearbeitung seiner Beanstandungen im Kirchengemeinderat behindert hat, denn die Vorlagepflicht nach § 28 Absatz 3 Satz 2 KGRBG trifft den Kirchengemeinderat als Amtspflicht. Diese Obliegenheitsverletzung und das Ausstehen einer dann erst rechtsmittelfähigen Entscheidung des Kirchenkreises nach § 28 Absatz 5 KGRBG verbessert jedoch die Aussichten des Antragstellers im Hauptsacheverfahren nicht.
(3) Denn bei summarischer Prüfung erweist sich die Nachwahl der Mitglieder des Kirchengemeinderates C und Dr. H als voraussichtlich rechtmäßig.
a.) Zunächst ist der Ausschluss der Kandidatin K mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtmäßig erfolgt. Unstreitig ist Frau K die Schwester eines anderen Mitgliedes des Kirchengemeinderates. Damit wäre sie gemäß § 37 Absatz 1 Satz 4 KGRBG nur dann wählbar gewesen, wenn der Kirchengemeinderat zunächst einen „begründeten Ausnahmefall“ festgestellt und sodann der Kirchenkreisrat diese Feststellung gebilligt hätte. Die Vorschrift zur Nachwahl eines Angehörigen stellt sich als Verbot mit Erlaubnisvorbehalt im Rechtssinne dar. Diese Feststellung ist nicht erfolgt, das Verfahren musste aber auch nicht durch den Kirchengemeinderat in Gang gesetzt werden. Denn dieses Ausnahmeermessen dient nicht, wie der Antragsteller unterstellt, den Interessen der nur unter dieser Voraussetzung wählbaren Kandidaten, sondern der Umsetzung der anderen qualitativen Anforderungen der KGRBG an die Zusammensetzung des Kirchengemeinderates insgesamt, die, den Ausnahmefall unterstellt, die Zuwahl eines grundsätzlich nicht gewünschten nahen Angehörigen erforderlich und damit hinnehmbar machen. Diese qualitativen Anforderungen finden sich als Mindest- und Höchstquoten der unterschiedlichen Statusgruppen und Geschlechter, dies sind zwingende Anforderungen, sowie in dem in § 10 Absatz 1 Satz 3 KGRBG zu findenden Ziel der breiten Repräsentanz der gesamten Gemeinde in ihrem Kirchengemeinderat. Es erhellt, dass bei der Beurteilung dieser Repräsentanz dem Kirchengemeinderat ein Ermessen zukommt, das nur eingeschränkt gerichtlicher Kontrolle unterliegt.
b.) Auch der Losentscheid im Ergebnis zugunsten der Kandidatin C ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu beanstanden. Unstreitig ist, dass in dem diesbezüglichen Wahlgang auf zwei Kandidatinnen desselben Geschlechtes die gleiche Anzahl von Stimmen entfiel. Dann aber war nach § 37 Absatz 1 Satz 3 i. V. m. § 24 Absatz 3 Satz 2 KGRBG das Los zu werfen.

IV.

Soweit der Antragsteller eine vorläufige Suspendierung des Antragsgegners zu 1.) aus seinem Amt als Vorsitzender des Kirchengemeinderates beantragt hat, bleibt auch dieser Antrag ohne Erfolg. Es kann offen bleiben, ob überhaupt und in welchen Fällen missbräuchlicher Amtsführung ein solcher Anspruch kirchengerichtlich durchsetzbar wäre; hier ist wie oben ausgeführt mit hoher Wahrscheinlichkeit die Wahl rechtsfehlerfrei erfolgt, so dass sich das Gericht mit dieser Frage nicht zu befassen hatte.

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 60 Absatz 1 Verwaltungsgerichtsgesetz der EKD. Die Festsetzung des Streitwertes erfolgte nach § 63 Verwaltungsgerichtsgesetz der EKD mit der Hälfte des Regelstreitwertes des Hauptsacheverfahrens.
gez. Labe
(Präsident und Vorsitzender Richter)
gez. Gleim
(Rechtskundiger Richter)
gez. Dr. Rublack
(Rechtskundige Richterin)