.Erläuterungen
Artikel 2
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Erläuterungen
zu Artikel 2 der Verfassung
Stand: Juli 2023
####Artikel 2
Rechtsbindung und Gleichheit
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1
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Alles kirchliche Handeln ist an das Kirchenrecht gebunden.
(
2
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Alle Menschen sind vor dem Kirchenrecht gleich.
#Grundinformationen
##I. Textgeschichte
#1. Veränderungen
Die Vorschrift ist seit dem Inkrafttreten unverändert.
#2. Textentwicklung
Im Verfassungsentwurf zur 1. Tagung der Verfassunggebenden Synode war der Satz „Alle Gemeindeglieder sind vor dem Kirchenrecht gleich.“ vorgesehen als Absatz 2 des Artikels 11 über „Rechte und Pflichten der Kirchenmitglieder“.
(1. Tagung der Verfassunggebenden Synode, Drucksache 5, Seite 10).
Der Verfassungsentwurf zur 2. Tagung der Verfassunggebenden Synode sah dann einen neuen Artikel 2 in der aktuellen Fassung vor, wobei Absatz 2 mit „alle Kirchenmitglieder“ eingeleitet wurde (2. Tagung der Verfassunggebenden Synode, Drucksache 3/II, Seite 9). In der zweiten Lesung wurde dies zu „alle Menschen“ geändert.
Der Verfassungsentwurf zur 3. Tagung der Verfassunggebenden Synode (Drucksache 4/III) sah dann Artikel 2 in der aktuellen Textfassung vor.
#3. Erläuterungen zum Entwurf der Verfassung
„In Artikel 11 werden die Rechte und Pflichten der Gemeindeglieder beschrieben, die theologisch aus dem Allgemeinen Priestertum aller getauften Glaubenden und rechtliche aus der Kirchenmitgliedschaft folgen. Intensiv beraten wurde das Regelungserfordernis eines Gleichheitsrechtes. Einerseits wird die Gleichheit aller Gemeindeglieder vor dem Kirchenrecht als eine Engführung angesehen, weil nach der Schrift alle Menschen vor Gott gleich sind. Andererseits wird die Aufnahme des Grundsatzes der Gleichheit aller Gemeindeglieder vor dem Kirchenrecht (nicht dem staatlichen Recht) als theologisch fundiert, dem Protestantismus angemessen und normativ gehaltvoll betrachtet.“
(1. Tagung der Verfassunggebenden Synode, Drucksache 5, Seite 73)
#4. Weitere Materialien (insbesondere des Verbandes)
Die Vorlage Rausch griff für einen ersten Formulierungsvorschlag auf Regelungen aus den Verfassungen bzw. Grundordnungen der Nordelbischen Kirche, der Badischen Kirche und der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland zurück.
Stand 31. Mai 2010 hatte der Entwurf folgende Fassung:
- (1) Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland gründet im Evangelium von Jesus Christus. Sie erfüllt ihre Aufgaben in der Bindung an den Auftrag ihres Herrn Jesus Christus und in der darin begründeten Freiheit. Sie lebt als Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern im Hören auf Gottes Wort, in der Feier der Sakramente und im Dienst an den Menschen.(2) Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland verkündigt und bezeugt das Evangelium in Wort und Tat durch Gottesdienst, Mission, Seelsorge, Diakonie, Kirchenmusik, Bildung und Unterricht sowie in der Übernahme von Mitverantwortung für das öffentliche Leben.(3) Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland tritt für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung sowie die Wahrung der in der Gottesebenbildlichkeit gründenden Menschenwürde und die Achtung der Menschenrechte ein.(4) Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland wird durch die Auslegung des Wortes Gottes geleitet.
Die AG Text sprach sich mehrheitlich dafür aus, in Absatz 4 einen Satz anzufügen: „Die Leitung geschieht geistlich und rechtlich in unaufgebbarer Einheit.“ Artikel 23 Absatz 1 könnte und müsste dann entfallen, die Regelung würde dadurch „vor die Klammer“ gezogen.
Ein alternativer Entwurf für den jetzigen Regelungsgehalt sah einen neuen Artikel zwischen Artikel 5 und 6 vor (18. März 2011):
Rechtsbindung und Gleichheit vor dem Gesetz
- (1) Die Landessynode ist an die Verfassung gebunden. Alle weiteren kirchlichen Stellen sind an Gesetz und Recht gebunden.(2) Alle Menschen sind vor dem kirchlichen Recht gleich. Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Herkunft, seiner Behinderung oder seines Alters in unverhältnismäßiger Art und Weise benachteiligt oder bevorzugt werden.(3) hier Artikel 12 einfügen
Der Rechtsausschuss plante mit seiner Formulierung einen neuen Artikel 3 a „Rechtsbindung und Gleichheit“ einzufügen:
- (1) Alles kirchliche Handeln ist an das kirchliche Recht gebunden.(2) Alle Menschen sind vor dem kirchlichen Recht gleich. Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Herkunft, seiner Behinderung oder seines Alters in unverhältnismäßiger Art und Weise benachteiligt oder bevorzugt werden.(3) Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland tritt für die Gleichstellung von Frauen und Männern im Leben der Kirche und in der Welt ein.
In einer gemeinsamen Sitzung am 24. Juni 2011 beschäftigten sich der Rechtsausschuss und der Theologische Ausschuss mit der Gleichstellung und Antidiskriminierung. Dieses Thema sollte aus Artikel 12, den Mitgliedschaftsrechten, in den allgemeinen Teil der Verfassung vorgezogen werden. Der Rechtsausschuss sprach sich an diesem Punkt für das Wort „einsetzen“ statt der Formulierung „tritt ein“ aus. Das Fehlen des Aspektes der „sexuellen Orientierung“ wurde angemerkt, was zu einer längeren Diskussion führte, da es das Grundverhältnis der Kirche zur Homosexualität betraf.
Der Theologische Ausschuss kritisierte insgesamt, dass die Aufzählung in Absatz 2 aus dem Entwurf des Rechtsausschusses unvollständig und nicht mehr zeitgemäß sei, auch die Formulierung „unverhältnismäßige Benachteiligung“ sei nicht akzeptabel, wohingegen der Rechtsausschuss der Auffassung war, dass sich die Regelung zwingend an dem staatlichen Recht zu orientieren habe. Dieser Regelungsbereich im staatlichen Recht sei über Jahrzehnte gewachsen und ausgefeilt worden, entsprechende Wissenschaft und Lehre sowie auch Rechtsprechung sei vorhanden, so dass auf diese zurückgegriffen werden könne.
Es blieb die Grundfrage, ob die kirchliche Regelung eine Aufzählung enthalten sollte oder nicht, was ausführlich diskutiert wurde. Auch die Frage, ob der Begriff „Diskriminierung“ in der Verfassung enthalten sein sollte, wurde länger und streitig debattiert. In der anschließenden getrennten Abstimmung entschieden sich beide Ausschüsse für die Streichung des Absatzes 2 Satz 2 in dem vom Rechtsausschuss vorgeschlagenen Artikel 3a. Es wurde – wiederum von beiden Ausschüssen – der Synode ebenfalls empfohlen, einen Satz, wie in Artikel 2 Absatz 5 des Entwurfs des Theologischen Ausschusses vorgeschlagen, in der Verfassung einzufügen. Über den Standort dieses Programmsatzes zur Antidiskriminierung herrschte Uneinigkeit: Der Theologische Ausschuss sprach sich für Artikel 2 aus, der Rechtsausschuss bevorzugte Artikel 3a.
Zum Thema der Gleichstellung von Männern und Frauen wurden die Gründe erläutert, warum auch diese Regelung in den allgemeinen Teil in den Artikel 3a verschoben wurde. Über diese Verschiebung herrschte Einigkeit. Der Theologische Ausschuss schlug eine indikativische Formulierung vor.
Die Steuerungsgruppe übernahm am 7. Juli 2011 den Vorschlag des Rechtsausschusses für Artikel 3a, ließ die Formulierung „tritt ein“ oder „setzt sich ein“ in Absatz 3 Satz 2 noch offen und gab den Auftrag an die Redaktionsgruppe zur Bearbeitung dieser Frage.
Die Fassung der Redaktionsgruppe vom 13. Juli 2011 hingegen war Absatz 3 nicht mehr enthalten, was von der Steuerungsgruppe schließlich am 26. August 2011 ebenfalls beschlossen wurde.
Im Rahmen der 2. Tagung der Verfassunggebenden Synode wurde beantragt, dass die Synode beschließen möge, dass Artikel 2 folgende Fassung erhalten möge:
Artikel 2: Kirchliche Ordnung
- (1) Die kirchliche Ordnung muss mit der in der Präambel gegebenen Grundordnung in Einklang stehen.(2) Die Rechtssetzung der Landeskirche darf den Bekenntnisstand nicht verletzen.(3) Die Rechtssetzung der Landeskirche ist verbindlich und behandelt alle Gemeindeglieder gleich.
Der Vorschlag für die völlige Neugestaltung des Artikels fand keine Mehrheit.
Der Rechtsausschuss beantragte, dass die Synode beschließen möge, das Wort „Kirchenmitglieder“ durch „Mensch“ zu ersetzen. Er war der Meinung, dass es sich nur um einen Irrtum handeln könne, da vor dem Kirchenrecht alle Menschen gleich sind. Zwar könne es nach dem Kirchenrecht Unterschiede zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern geben, aber nur bei unterschiedlichen Regelungsbereichen und -tatbeständen und hatte die Empfehlung bereits in seiner Sitzung vom 6. bis 8. Oktober 2011 beschlossen. Der Antrag des Rechtsausschusses wurde übernommen.
#II. Vorgängervorschriften
#1. Verfassung der NEK/ELLM/PEK
Weder in der Verfassung der NEK noch im mecklenburgischen Verfassungsrecht oder der Kirchenordnung der PEK existierte eine entsprechende Vorgängervorschrift.
#2. Grundsätze zum Fusionsvertrag
Die Grundsätze zum Fusionsvertrag enthalten die Vorgabe unter Punkt I.1.3, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern verfassungsrechtlich gewährleistet wird, was sich nun ausdrücklich in Artikel 11 der Verfassung wiederfindet.
#III. Ergänzende Vorschriften
#1. Normen mit Verfassungsrang
Nach Artikel 1 Absatz 5 erfüllt die Nordkirche ihre Aufgaben „in der Bindung an den Auftrag ihres Herrn Jesus Christus“. Leitung erfolgt in allen Ebenen „geistlich und rechtlich in unaufgebbarer Einheit“ (Artikel 1 Absatz 3).
Die Gleichstellung von Frauen und Männern wird ausdrücklich noch einmal in Artikel 11 geregelt. Bereits Artikel 1 Absatz 8 spricht von einem „von Gleichberechtigung bestimmte[n] Zusammenleben der Menschen“.
Die Rechtsetzung durch Landessynode und Kirchenleitung ist im Abschnitt 8 geregelt (Artikel 110 – 112).
Der Rechtsschutz ist im Abschnitt 9 geregelt. Die kirchliche Gerichtsbarkeit wacht über die Einhaltung und rechte Anwendung kirchlichen Rechts. Die Mitglieder der Kirchengerichte sind unabhängig und nur an Schrift und Bekenntnis sowie an das geltende Recht gebunden (Artikel 128 Absatz 5).
#IV. Zusammenhänge und Rechtsvergleich
#1. Verweise auf andere Verfassungsbestimmungen
Der Grundsatz der Bindung an das Kirchenrecht wird für die kirchlichen Gremien in einer Vielzahl von Regelungen in der Verfassung wiederholt, so z. B. Artikel 6 Absatz 1, Artikel 25 Absatz 1, Artikel 45 Absatz 2 Satz 1, Artikel 53 Absatz 1 Satz 2, Artikel 78 Absatz 2 Satz 1 oder Artikel 86 Absatz 1 (sowie Artikel 105 Absatz 1 Satz 2 für das Landeskirchenamt).
#2. Verweise auf kirchliches Recht (außerhalb der Nordkirche)
Artikel 7 Absatz 3 der Grundordnung der EKBO lautet:
- Kirchliches Recht und kirchliche Verwaltung sind unter Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze dem kirchlichen Auftrag verpflichtet.
Der Gedanke der Gleichberechtigung findet sich in der Kirchenverfassung der EKM in Artikel 10 Absatz 1 Satz 2:
- Alle Gemeindeglieder sind im Rahmen der kirchlichen Ordnung gleichberechtigt.
Artikel 2 der Kirchenverfassung Hannover bestimmt zur gleichberechtigten Teilhabe:
- (1) 1 Wie alle Menschen sind die Mitglieder der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers als Ebenbilder Gottes geschaffen und von gleicher Würde. 2 Als Glaubende durch Gottes Gnade gerechtfertigt, bilden sie eine Gemeinschaft in Christus.(2) Die Mitglieder der Landeskirche wirken gleichberechtigt am Auftrag der Kirche mit.(3) 1 Die Landeskirche fördert ein Zusammenleben in Vielfalt und die Gleichstellung von Menschen jeden Geschlechts. 2 Sie wendet sich gegen jede Form von Diskriminierung und setzt sich für gleichberechtigte Teilhabe am kirchlichen und gesellschaftlichen Leben ein.
Artikel 6 der Kirchenverfassung Hannover bestimmt zum kirchlichen Recht:
- (1) 1 Das kirchliche Recht ist an die Heilige Schrift und an das Bekenntnis der evangelisch-lutherischen Kirche gebunden. 2 Es ist nach dem Maß menschlicher Vernunft so zu gestalten, dass es jeweils den bestmöglichen Rahmen für die Wahrnehmung des Auftrages der Kirche bildet. 3 An dieses Recht ist alles kirchliche Handeln gebunden.(2) Leitung geschieht auf allen Ebenen der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers geistlich und rechtlich in unaufgebbarer Einheit im Hören auf Gottes Wort und in der Bindung an das kirchliche Recht.(3) Der Bekenntnisstand und die Lehre in der Landeskirche sind einer rechtlichen Regelung entzogen.
3. Verweise auf staatliches Recht
Im staatlichen Recht finden sich entsprechende Regelungen im Grundgesetz: Artikel 1 Absatz 3 lautet:
- Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
Artikel 3 Absatz 1 lautet:
- Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
Artikel 20 Absatz 3 lautet:
- Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.