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Erläuterungen
zu Artikel 112 der Verfassung

Bearbeitungsstand: Juli 2022

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Artikel 112
Gesetzesvertretende Rechtsverordnungen

( 1 ) In dringenden Fällen kann die Kirchenleitung Angelegenheiten, die ein Kirchengesetz erfordern, durch Gesetzesvertretende Rechtsverordnung regeln, wenn die Landessynode nicht rechtzeitig einberufen werden kann. Der Beschluss der Kirchenleitung bedarf der Zustimmung der Mehrheit ihrer Mitglieder und ist dem Präsidium der Landessynode unverzüglich mitzuteilen. Wenn der Beschluss finanzielle Auswirkungen hat, ist das vorsitzende Mitglied des Finanzausschusses zu beteiligen. Die Rechtsverordnung ist im Kirchlichen Amtsblatt zu verkünden.
( 2 ) Eine Änderung der Verfassung durch Gesetzesvertretende Rechtsverordnung ist unzulässig.
( 3 ) Gesetzesvertretende Rechtsverordnungen sind der Landessynode durch das Präsidium unverzüglich zur Entscheidung vorzulegen. Die Landessynode kann sie bestätigen, ändern oder aufheben. Die Entscheidung der Landessynode ist im Kirchlichen Amtsblatt zu verkünden. Die Gültigkeit von Maßnahmen, die auf der Grundlage Gesetzesvertretender Rechtsverordnungen vollzogen wurden, bleibt unberührt.
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Grundinformationen

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I. Textgeschichte

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1. Veränderungen

Die Vorschrift ist seit dem Inkrafttreten unverändert.
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2. Textentwicklung

Die Regelung befand sich als Artikel 109 bereits weitestgehend identisch mit der heutigen Fassung in dem Verfassungsentwurf zur 1. Tagung der Verfassunggebenden Synode.
Artikel 109: Gesetzesvertretende Rechtsverordnungen
(1) In dringenden Fällen kann die Kirchenleitung Angelegenheiten, die ein Kirchengesetz erfordern, durch Gesetzesvertretende Rechtsverordnung regeln, wenn die Landessynode nicht rechtzeitig einberufen werden kann. Der Beschluss der Kirchenleitung bedarf der Zustimmung der Mehrheit ihrer Mitglieder und ist dem Präsidium der Landessynode unverzüglich mitzuteilen. Die Rechtsverordnung ist im Kirchlichen Amtsblatt zu verkünden.
(2) Eine Änderung der Verfassung durch Gesetzesvertretende Rechtsverordnung ist unzulässig.
(3) Gesetzesvertretende Rechtsverordnungen sind der Landessynode durch das Präsidium unverzüglich zur Bestätigung vorzulegen. Die Landessynode kann sie bestätigen ändern oder aufheben. Die Entscheidung der Landessynode ist im Kirchlichen Amtsblatt zu verkünden. Die Gültigkeit von Maßnahmen, die auf der Grundlage Gesetzesvertretender Rechtsverordnungen vollzogen wurden, bleibt unberührt.
(1. Tagung der Verfassunggebenden Synode, Drucksache 5, Seite 58)
In der Fassung für die 2. Tagung der Verfassunggebenden Synode (Artikel 113) wurde Absatz 3 dahingehend geändert, dass die Gesetzesvertretende Rechtsverordnung der Landessynode zur „Entscheidung“ vorzulegen sei (2. Tagung der Verfassunggebenden Synode, Drucksache 3/II, Seite 60).
Absatz 1 Satz 3 bezüglich der Beteiligung des vorsitzenden Mitglieds des Finanzausschusses wurde erst zur dritten Lesung eingefügt (Drucksache 4/III).
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3. Erläuterungen zum Entwurf der Verfassung

Die Erläuterungen zum Entwurf der Verfassung enthalten keine Ausführungen zu der Gesetzesvertretenden Rechtsverordnung.
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4. Weitere Materialien (insbesondere des Verbandes)

Abweichend vom ersten Entwurf wurde bereits im Juni 2010 jeweils das Präfix „Landes-“ vor das Wort „Synode“ gesetzt.
Im Rahmen der 1. Tagung der Verfassunggebenden Synode regte die NEK in ihrer Stellungnahme an, in Absatz 3 Satz 1 an das Wort „Bestätigung“ durch „Entscheidung“ zu ersetzen, da dies der Oberbegriff für Bestätigung, Änderung und Aufhebung sei. Darüber hinaus solle geklärt werden, ob eine rückwirkende Aufhebung möglich oder sogar gewünscht sei. Der Vorschlag bezüglich des Wortes „Entscheidung“ wurde von der Steuerungsgruppe in der Sitzung vom 25. und 26. August 2011 umgesetzt.
Der Rechtsausschuss diskutierte in seiner Sitzung vom 24. bis 26. Juni 2011 den Sinn und Zweck der Vorschrift im Verhältnis zu dem damaligen Artikel 86, der die Eilkompetenz der Kirchenleitung regelte: Die Kirchenleitung nimmt danach die Aufgaben der Landessynode wahr, wenn diese nicht rechtzeitig einberufen werden kann. Dadurch werde die Position der Kirchenleitung deutlich gestärkt. Die Vorschriften müssten aufeinander abgestimmt werden; auch die Erhöhung des Beschlussquorums wurde vorgeschlagen. Auch die systematische Stellung der Vorschrift bei der Rechtsetzung wird diskutiert, da es hier ausschließlich um Rechtsverordnungen gehe. Uneinigkeit herrscht bezüglich der Frage, inwieweit die Entscheidung über eine derartige Gesetzesvertretende Rechtsverordnung vollständig und ausschließlich in der Hand der Synode liegen müsse und ob der Rechtsausschuss der Landessynode zu beteiligen sei.
Der abschließende Formulierungsvorschlag des Rechtsausschusses lautete schließlich:
(1) In dringenden Fällen kann die Kirchenleitung Angelegenheiten, die ein Kirchengesetz erfordern, durch Gesetzesvertretende Rechtsverordnung regeln, wenn die Landessynode nicht rechtzeitig einberufen werden kann. Der Beschluss der Kirchenleitung bedarf der Zustimmung der Mehrheit ihrer Mitglieder und ist dem Präsidium der Landessynode unverzüglich mitzuteilen. Die Rechtsverordnung ist im kirchlichen Amtsblatt zu verkünden. Artikel 107 Absatz 4 und 5 gilt entsprechend.
(2) Eine Änderung der Verfassung durch Gesetzesvertretende Rechtsverordnung ist unzulässig.
(3) Gesetzesvertretende Rechtsverordnungen sind der Landessynode durch das Präsidium unverzüglich zur Entscheidung vorzulegen. Die Landessynode kann sie ändern oder aufheben. Die Gültigkeit von Maßnahmen, die auf der Grundlage Gesetzesvertretender Rechtsverordnungen vollzogen wurden, bleibt unberührt.
In der Sitzung des Rechtsausschusses vom 4. bis 6. November 2011 wurde nach längerer Diskussion beschlossen, in Absatz 1 einen neuen Satz 3 einzufügen, der bisherige Satz 3 wird damit zu Satz 4: „Wenn und soweit der Beschluss finanzielle Auswirkungen hat, ist das vorsitzende Mitglied des Finanzausschusses zu beteiligen.“
Als rein redaktionelle Änderung wurden die Wörter „und soweit“ im Entwurf für die 2. Lesung des Rechtsausschusses vom 26. November 2011 wieder gestrichen.
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II. Vorgängervorschriften

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1. Verfassung der NEK

Artikel 82 der Verfassung NEK regelte die Befugnisse der Kirchenleitung, in dringenden Fällen vorläufig zu handeln. Die Formulierung „Gesetzesvertretende Rechtsverordnung“ wird dabei nicht verwendet.
(1) Die Kirchenleitung kann mit Zustimmung des Hauptausschusses Angelegenheiten, die einen Beschluss der Synode erfordern, in dringenden Fällen vorläufig regeln. Die Entscheidung ist der Präsidentin bzw. dem Präsidenten der Synode mitzuteilen.
(2) Handelt es sich um eine Angelegenheit, die ein Kirchengesetz erfordert, so ist eine Rechtsverordnung zu erlassen und wie ein Kirchengesetz zu verkünden. Eine Änderung der Verfassung durch Rechtsverordnung ist unzulässig.
(3) Beschlüsse nach Absatz 1 und 2 bedürfen der Zustimmung von mindestens sieben Mitgliedern der Kirchenleitung.
(4) Die Kirchenleitung hat auf der nächsten Tagung der Synode über ihre Entscheidung zu berichten. Die Synode kann die Maßnahme mit Wirkung für die Zukunft ändern oder aufheben. Die Entscheidung der Synode ist im kirchlichen Gesetzesblatt bekanntzugeben.
(5) In vertraulichen Fällen gelten die Absätze 1 und 3 entsprechend.
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2. Entsprechende Normen der ELLM/PEK

§ 23 Absatz 1 und 2 Leitungsgesetz der ELLM (Kirchenleitung und Landessynode) regelten die Aufgaben und Befugnisse der Kirchenleitung, anstelle der Landessynode tätig werden:
(1) Die Kirchenleitung nimmt die Aufgaben der Landessynode (§ 2 Absatz 3 und 4) außerhalb ihrer Tagungen und gemäß § 24 nach Ablauf ihrer Wahlperiode wahr. Die Aufgaben des Präsidiums der Landessynode (§ 6) bleiben unberührt.
(2) Sie beschließt Kirchengesetze (§ 2 Absatz 3), wenn diese nicht bis zur nächsten Tagung der Landessynode aufgeschoben werden können und die Erheblichkeit der Sache nicht rechtfertigt, die Landessynode einzuberufen. Diese Kirchengesetze sind der Landessynode auf ihrer nächsten Tagung zur Entscheidung vorzulegen. Lehnt die Landessynode ein solches Kirchengesetz ab, tritt es im Zeitpunkt ihres Beschlusses außer Kraft.
In der Kirchenordnung der PEK fand sich eine ähnliche Regelung in Artikel 132 Absatz 1 und 2:
(1) Die Kirchenleitung ist für alle Leitungsaufgaben der Landeskirche zuständig, die nicht der Landessynode oder anderen Leitungsorganen der Landeskirche vorbehalten sind. Wenn die Landessynode nicht versammelt ist, nimmt die Kirchenleitung auch die in Artikel 124 Absatz 2 und 3 genannten Aufgaben wahr.
(2) Die Kirchenleitung kann auch Aufgaben wahrnehmen, die der Landessynode vorbehalten sind, wenn deren Einberufung nicht möglich ist oder der Bedeutung des Gegenstandes nicht entspricht und die Erledigung der Angelegenheiten keinen Aufschub duldet. In solchen Fällen kann die Kirchenleitung Angelegenheiten, die den Erlass eines Kirchengesetzes erfordern, durch Verordnung regeln. Die Verordnung ist der Landessynode bei ihrem nächsten Zusammentritt zur Genehmigung vorzulegen. Wird sie nicht genehmigt, so hat die Kirchenleitung sie aufzuheben. Eine Änderung der Kirchenordnung auf diesem Wege ist nicht möglich.
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3. Grundsätze zum Fusionsvertrag

Die Grundsätze zum Fusionsvertrag enthalten keine Ausführungen zu den Gesetzesvertretenden Rechtsverordnungen.
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III. Ergänzende Vorschriften

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IV. Zusammenhänge und Rechtsvergleich

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1. Verweise auf andere Verfassungsbestimmungen

Artikel 89 regelt allgemein die Eilkompetenz der Kirchenleitung in dringenden Fällen die Aufgaben der Landessynode wahrzunehmen. Auch dort ist die Erforderlichkeit der Beteiligung des vorsitzenden Mitglieds des Finanzausschusses geregelt.
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2. Verweise auf kirchliches Recht (außerhalb der Nordkirche)

Artikel 83 Grundordnung EKBO regelt die „Entscheidungen im Eilfall, Rechtssetzung“:
(1) Wenn die Erledigung einer der Landessynode vorbehaltenen Aufgabe keinen Aufschub duldet und die Einberufung der Landessynode nicht möglich ist oder der Bedeutung des Gegenstandes nicht entspricht, trifft die Kirchenleitung eine Entscheidung, der die Hälfte ihrer Mitglieder zustimmen müssen. Sie berichtet darüber der Landessynode.
(2) Angelegenheiten, die den Erlass eines Kirchengesetzes erfordern, regelt die Kirchenleitung durch Verordnung mit Gesetzeskraft, nachdem der nach Entscheidung des Präsidiums zuständige Ausschuss der Landessynode oder, falls ein entsprechender ständiger Ausschuss nicht besteht, das Präsidium zugestimmt hat. Die Grundordnung kann auf diese Weise nicht geändert werden. Verordnungen mit Gesetzeskraft sind der Landessynode bei ihrer nächsten Tagung zur Genehmigung vorzulegen. Wird die Genehmigung versagt, muss die Kirchenleitung die Verordnung aufheben.
(3) [...]
(4) Verordnungen mit Gesetzeskraft und Rechtsverordnungen werden im Kirchlichen Amtsblatt bekannt gemacht. [...]
In der Kirchenverfassung der EKM regelt Artikel 82 „Verordnungen“ Folgendes:
(1) Der Landeskirchenrat kann Verordnungen erlassen, wenn eine Angelegenheit nach der Kirchenverfassung nicht der kirchengesetzlichen Regelung bedarf und nicht schon durch ein Kirchengesetz geregelt ist.
(2) Angelegenheiten, für die eine kirchengesetzliche Regelung vorgeschrieben ist, kann der Landeskirchenrat mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen der anwesenden Mitglieder durch gesetzesvertretende Verordnung regeln, wenn eine solche Regelung eilbedürftig und die Einberufung der Landessynode nicht rechtzeitig möglich ist oder nicht vertretbar erscheint. Eine Änderung der Kirchenverfassung ist auf diesem Wege nicht möglich.
(3) Gesetzesvertretende Verordnungen sind der Landessynode auf ihrer nächsten Tagung zur Bestätigung vorzulegen. Versagt die Landessynode die Bestätigung, so ist die gesetzesvertretende Verordnung damit aufgehoben; Maßnahmen, die aufgrund der Verordnung vollzogen sind, bleiben gültig. Der Beschluss der Landessynode ist im Kirchlichen Amtsblatt zu veröffentlichen.
Artikel 71 der Kirchenverfassung der Landeskirche Hannovers verwendet auch die Formulierung „Verordnung mit Gesetzeskraft“:
(1) In dringenden Fällen kann der Landessynodalausschuss Angelegenheiten, die einer kirchengesetzlichen Regelung bedürfen, durch Verordnung mit Gesetzeskraft regeln, wenn die Landessynode nicht rechtzeitig einberufen werden kann. Die Verfassung kann durch eine Verordnung mit Gesetzeskraft nicht geändert werden.
(2) Verordnungen mit Gesetzeskraft sind der Landessynode unverzüglich zur Bestätigung vorzulegen. Wird eine Verordnung mit Gesetzeskraft mit Änderungen bestätigt, so ist sie in der von der Landessynode beschlossenen Fassung neu auszufertigen und zu verkünden. Wird eine Verordnung mit Gesetzeskraft nicht bestätigt, so tritt sie zu dem von der Landessynode festgelegten Zeitpunkt außer Kraft.
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3. Verweise auf staatliches Recht

Artikel 129 Absatz 3 GG lautet: „Soweit Rechtsvorschriften im Sinne der Absätze 1 und 2 zu ihrer Änderung oder Ergänzung oder zum Erlass von Rechtsvorschriften an Stelle von Gesetzen ermächtigen, sind diese Ermächtigungen erloschen.“
Artikel 48 Absatz 2 der Weimarer Reichsverfassung enthielt das Recht des Reichspräsidenten „wenn im Deutschen Reich die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen“ (Notverordnung).