.Erläuterungen
Artikel 34
###
Erläuterungen
zu Artikel 34 der Verfassung
Bearbeitungsstand: Juli 2023
###Abschnitt 3: Gemeindeversammlung
#Artikel 34
Aufgaben
Die Gemeindeversammlung hat folgende Aufgaben und Befugnisse:
- sie berät über Angelegenheiten der Kirchengemeinde;
- sie nimmt den Bericht des Kirchengemeinderates entgegen;
- sie kann Entscheidungen des Kirchengemeinderates anregen;
- sie kann Anfragen und Anträge an den Kirchengemeinderat stellen.
Grundinformationen
##I. Textgeschichte
#1. Veränderungen
Die Vorschrift ist seit dem Inkrafttreten unverändert.
#2. Textentwicklung
Im Verfassungsentwurf zur 1. Tagung der Verfassunggebenden Synode war die Regelung bereits als Artikel 33 enthalten (Drucksache 5, Seite 20), allerdings noch ohne Nummer 4. In gleicher Fassung findet sich die Regelung als Artikel 35 im Entwurf der Verfassung für die 2. Tagung der Verfassunggebenden Synode (Drucksache 3/II, Seite 22). Der Entwurf zur 3. Tagung der Verfassunggebenden Synode enthält in Artikel 34 die aktuelle Fassung (Drucksache 4/III).
#3. Erläuterungen zum Entwurf der Verfassung
„Die Gemeindeversammlung gemäß Artikel 33 ist kein Organ der Kirchengemeinde. Sie tagt in öffentlicher Sitzung. Offen geblieben ist, wie in einer öffentlichen Sitzung mit der Teilnahme von Bewohnerinnen und Bewohnern aus dem Gebiet der Kirchengemeinde umgegangen werden soll, die nicht Gemeindeglieder ist.“
(1. Tagung der Verfassunggebenden Synode, Drucksache 5, Seite 78)
#4. Weitere Materialien (insbesondere des Verbandes)
Die AG Verfassung einigte sich im September 2007 zunächst darauf, die Grundlage für die Ebene der Kirchengemeinde festzulegen, nämlich dass die Gemeindeversammlung beratende Funktion hat. Über den Umfang ihrer Mitwirkungsrechte ohne Entscheidungsbefugnisse sollte zu einem späteren Zeitpunkt beraten werden.
Der Vorschlag vom 14. Dezember 2009 von Hünemörder, Rausch und Siegert sah einen Artikel 15
- „Kirchengemeindeversammlung“ vor: „In wichtigen Angelegenheiten der Kirchengemeinde und des kirchlichen Lebens überhaupt hat der Vorsitzende des Kirchengemeinderats das Recht, der gesamten Kirchengemeinde durch Einberufung einer Versammlung Gelegenheit zu geben, sich zu unterrichten und sich zu äußern. Auf Beschluss des Kirchengemeinderates ist er hierzu verpflichtet.“
Die UG Kirchengemeindeordnung der AG Verfassung befasste sich am 14. Dezember 2009 mit den „Organen“ der Kirchengemeinde, darunter auch der Gemeindeversammlung. Die Notwendigkeit der Regelung einer Gemeindeversammlung in der Verfassung wurde kontrovers diskutiert. Auf der einen Seite wurde die Notwendigkeit verneint, es stehe zu befürchten, dass diese Organbildung keine Verfassungswirklichkeit gewinnen würde. Auf der anderen Seite stand die Intention, eine verstärkte Beteiligung der Gemeindemitglieder an der Verwaltung der Kirchengemeinde erreichen zu können. Die Gemeindeversammlung sollte die Zuständigkeit des Kirchengemeinderats nicht antasten, sondern lediglich zur Unterrichtung und zur Äußerung, nicht jedoch zur Beschlussfassung dienen. Es wurde Einigkeit darüber erzielt, dass auf der Basis des Vorschlags Hünemörder, Rausch und Siegert eine Regelung in die Verfassung aufgenommen werden soll, ergänzt um eine Sollvorschrift zur Einberufung der Gemeindeversammlung einmal im Jahr.
Der Entwurf von Prof. Dr. Unruh im Mai 2010 enthielt unter der Überschrift „Aufgaben und Teilnahmerechte“ einen anderen Ansatz und gab damit die Struktur für die endgültige Fassung vor:
- (1) Die Gemeindeversammlung hat folgende Aufgaben:
- sie berät über die Angelegenheiten der Kirchengemeinde;
- sie nimmt den Bericht des Kirchenvorstands entgegen;
- sie kann Entscheidungen des Kirchenvorstands anregen.
- (2) Teilnahmeberechtigt sind alle Mitglieder der Kirchengemeinde.
Die AG Verfassung beschloss diesen Entwurf ohne Absatz 2 unter der Überschrift Aufgaben im Juni 2010. Die Formulierungen wurden an die aktuell verwendete Terminologie („Kirchengemeinderat“ statt „Kirchenvorstand“) angepasst.
Auf der 1. Verfassunggebenden Synode wurde von 30 Synodalen der Antrag (3) gestellt, Artikel 33 wie folgt zu ergänzen:
- „Die Gemeindeversammlung hat folgende Aufgaben und Befugnisse:
- sie berät über Angelegenheiten der Kirchgemeinde;
- sie nimmt den Bericht des Kirchengemeinderates entgegen;
- sie kann Entscheidungen des Kirchgemeinderates anregen;
- sie kann Anfragen und Anträge an den Kirchengemeinderat stellen.“
In der Sitzung des Rechtsausschusses vom 18. und 19. März 2011 wurde der Antrag gestellt, die Worte „und Befugnisse“ zu streichen (entsprechend dem damaligen Artikel 24 Absatz 3). Es wurde betont, dass im Sinne von Antrag 3 ein Antragsrecht an den Kirchengemeinderat gut wäre. Der Rechtsausschuss entschied sich für die Fassung der AG Verfassung ohne die Worte „und Befugnisse“ in der Überschrift.
Das NKA äußerte sich ablehnend zu Antrag 3, da es sich bei der bisherigen Formulierung bereits um einen Kompromiss handele (Juli 2011).
Aus den Kirchenkreisen kamen zahlreiche Rückmeldungen. So sprach sich der Kirchenkreis Altholstein für eine Änderung von Punkt 3. und für einen neuen Punkt 4. aus: „3. sie kann Anregungen an den Kirchengemeinderat, den Kirchenkreisrat sowie Anträge an den Kirchengemeinderat richten. Der Kirchengemeinderat hat seine Entscheidung über diese Anträge innerhalb von drei Monaten der Gemeinde bekannt zu geben.“ Die bisherigen Rechte der Gemeindeversammlung sollten auch in der Nordkirche erhalten bleiben, wurde zur Begründung ausgeführt. Der Kirchengemeinderat sollte möglichst transparent arbeiten und unmittelbaren Kontakt zu den übrigen Gemeindegliedern halten, wozu die Anfragen, Anregungen und Anträge dienen sollten.
Der Kirchenkreis Dithmarschen unterstützte den Vorschlag eines Antragsrechts zur Stärkung der Gemeindeversammlung.
Der Kirchenkreis Nordfriesland formulierte seinen Vorschlag für ein Antragsrecht in einer zusätzlichen Ziffer 4. wie folgt: „sie kann mit einfacher Mehrheit Anträge an die Kirchengemeindeversammlung [Anm.: muss wohl „an den Kirchengemeinderat“ heißen] stellen“, da es sich um ein unverzichtbares plebiszitäres Element handele. Außerdem solle Ziffer 3 durch Artikel 12 Absatz 2 der Verfassung NEK ersetzt werden, um das Laienelement zu stärken.
Der Rechtsausschuss legte sich bei seiner Bearbeitung der Vorschrift auf folgende Fassung fest:
- „Artikel 33: AufgabenDie Gemeindeversammlung hat folgende Aufgaben:
- sie berät über Angelegenheiten der Kirchengemeinde;
- sie nimmt den Bericht des Kirchengemeinderates entgegen;
- sie kann Entscheidungen des Kirchengemeinderates anregen.“
Diese Fassung wurde von der Steuerungsgruppe in der Sitzung vom 7. Juli 2011 nicht befürwortet. Sie beschloss die Fassung des damaligen Artikels 33 mit der Formulierung „Aufgaben und Befugnisse“.
Auf der 2. Tagung der Verfassunggebenden Synode wurde der Antrag gestellt, eine Ziffer 4. anzufügen: „4. sie kann Anfragen und Anträge an den Kirchengemeinderat stellen“.
Dieser Antrag wurde übernommen; der Rechtsausschuss beschäftigte sich in seiner Sitzung vom 4. bis 6. November 2011 mit ihm, verzichtete aber aufgrund der ausführlichen bisherigen Beratungen ausdrücklich darauf, weiter darüber zu beraten.
#II. Vorgängervorschriften
#1. Verfassung der NEK
Artikel 12 Verfassung NEK regelte die Aufgaben und Befugnisse der Gemeindeversammlung:
- (1) 1 Die Gemeindeversammlung berät über Angelegenheiten der Kirchengemeinde. 2 Einmal jährlich nimmt sie einen Bericht des Kirchenvorstandes entgegen.(2) 1 Die Gemeindeversammlung kann Anregungen an den Kirchenvorstand und die Arbeitsausschüsse geben. 2 Sie kann Anfragen an den Kirchenvorstand, die Arbeitsausschüsse und den Kirchenkreisvorstand sowie Anträge an den Kirchenvorstand richten. 3 Der Kirchenvorstand hat seine Entscheidung über diese Anträge innerhalb von drei Monaten der Gemeinde bekanntzugeben.“
2. Entsprechende Normen der ELLM/PEK
Das Verfassungsrecht der ELLM kannte keine Gemeindeversammlung.
Anders Artikel 72 Kirchenordnung PEK:
- 1 Der Gemeindekirchenrat soll jährlich mindestens einmal die Gemeindeglieder zu einer Gemeindeversammlung zusammenrufen. 2 Er kann die Gemeindeversammlung zu einem Kirchentag ausgestalten. 3 Er berichtet in der Versammlung über seine Arbeit und stellt den Bericht zur Aussprache. 4 Dabei soll er für berechtigte Beanstandungen und Vorschläge zur Besserung und Bereicherung des Gemeindelebens aufgeschlossen sein.“
3. Grundsätze zum Fusionsvertrag
Die Grundsätze zum Fusionsvertrag enthalten keine Ausführungen zu der Gemeindeversammlung.
#III. Ergänzende Vorschriften
#1. Normen mit Verfassungsrang
Die Kirchengemeindeordnung wiederholt in § 48 Absatz 2 den Wortlaut des Artikels 34. § 48 Absatz 3 ergänzt: Entscheidungen über Anfragen, Anregungen und Anträge sind innerhalb von drei Monaten bekannt zu geben.
Die Gemeindeversammlung dient der Beratung von Fragen des kirchlichen Lebens (§ 48 Absatz 1 KGO). Die Gemeindeversammlung ist gemäß § 14 Absatz 3 KGO (Artikel 22 Absatz 3) anzuhören, bevor der Kirchengemeinderat Entscheidungen über Grenzveränderungen oder die Teilung oder den Zusammenschluss von Ortskirchengemeinden trifft. Gleiches gilt für spätere Namensänderungen (§ 15 Absatz 3 KGO)
#2. Einfache Kirchengesetze
Gemäß § 18 Kirchengesetz zur Wahl in den Kirchengemeinderat (Kirchengemeinderatswahlgesetz) vom 27. Oktober 2020 (KABl. S. 355) beruft der Kirchengemeinderat zur Vorstellung der vorgeschlagenen Gemeindeglieder und zur Unterrichtung über das Wahlverfahren in der Regel eine Gemeindeversammlung ein, die rechtzeitig vor Beginn des Wahlzeitraums stattfinden soll.
Nach § 3 Visitationsgesetz (NEK) gehört zur pröpstlichen Visitation eine Gemeindeversammlung.
#3. Satzungen (der Kirchenkreise etc.)
Eigene, besondere Regelungen zu den Gemeindeversammlungen finden sich in der Satzung der Evangelischen Studierendengemeinde Kiel und der Satzung der Evangelischen Studentengemeinde Rostock.
#IV. Zusammenhänge und Rechtsvergleich
#1. Verweise auf andere Verfassungsbestimmungen
Einzelheiten zum Verfahren der Gemeindeversammlung sind in Artikel 35 geregelt.
#2. Verweise auf kirchliches Recht (außerhalb der Nordkirche)
In Artikel 28 Grundordnung EKBO finden sich Ausführungen zum Verfahren und zu den Aufgaben und Befugnissen der Gemeindeversammlung: So ist der Gemeindeversammlung beispielsweise von der Arbeit des Gemeindekirchenrats, des Gemeindebeirats und der Mitarbeitenden zu berichten, worüber eine Aussprache stattzufinden hat. Die Gemeinde-versammlung kann außerdem Empfehlungen geben.
Auch die Kirchenverfassung der EKM kennt das Instrument der Gemeindeversammlung (Artikel 30): Einmal im Jahr soll sie einberufen werden, und sie kann Entschließungen fassen, die vom Gemeindekirchenrat vordringlich behandelt werden müssen.
Die Kirchenverfassung Hannover enthält eine allgemein gehaltene Regelung zur Gemeindeversammlung in Artikel 29, auf ihren Antrag kann ein Gemeindebeirat gebildet werden.
#3. Verweise auf staatliches Recht
Im staatlichen Recht meint der Begriff der Gemeindeversammlung in Artikel 28 Absatz 1 Satz 4 GG etwas anderes: „In Gemeinden kann an die Stelle einer gewählten Körperschaft die Gemeindeversammlung treten.“, alle Bürger einer Gemeinde hätten in dem Fall ein direktes Mitbestimmungsrecht. Diese Regelung findet in der Praxis nur äußerst selten Anwendung; sie ist vorgesehen in § 54 Gemeindeordnung Schleswig-Holstein.
Der Gemeindeversammlung im Sinne des Artikels 34 entsprechen eher die Instrumente der Einwohnerversammlung, des Einwohnerantrags oder ein Bürgerbegehren bzw. ein Bürgerentscheid (§§ 16a-16g Gemeindeordnung Schleswig-Holstein; §§ 16-20 Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommern).